In den Hochzeiten des Kalten Krieges war die Welt durch trotzige Reden ganzer Bürgermeistergenerationen gehalten, nach Berlin zu blicken. Ihrer Abschottung hatten die Bürger der geteilten Stadt manches entgegen zu setzen. Im ohnmächtigen Gefühl, zwischen den Machtblöcken zerrieben zu werden, blühte der sprachliche Steilpass, den man anderenorts gern als Humor verklärt. Nennen wir ihn ein letztes Mal Herz mit Schnauze.

Tröstlicherweise war das abgesperrte Berlin mit einem Zoologischen Garten gesegnet, der schon immer ein beliebtes Ausflugsziel gewesen war. Die Eingeschlossenen schauten auf die Eingeschlossenen und erfreuten sich der Artenvielfalt (hier lag der Berliner Zoo ganz vorn) sowie am komischen Aussehen und Verhalten der Tiere. Wortwitzig daher die Namen der Publikumslieblinge von damals: Knautschke. Knorke. Boulette.

Als junger Fotograf habe ich oft und gern diese putzige Seite der Tiere im Zoo fotografiert: gähnende Nilpferde, dösende Eisbären, Affen, die sich am Kopf kratzen. Was machte die Tiere so menschlich?

Eines Tages erschien Alexander von Reiswitz bei mir im Studio und zeigte mir seine Tierporträts. Ich war hochbeglückt vom Ergebnis, das in Widerspruch zu aller Erfahrung mit dem Glamour des klassischen Starporträts steht. Nota bene: ein Star ist einer, der seine Bedeutung durch Abstand und notorisch gehütetes Geheimnis herstellt. Allenfalls Medien haben Termine mit ihm; ihn zu besuchen gestaltet sich als schwierig. Die Umstände einer Medienbegegnung aber haben künstlich und aufwendig zu sein (auf Styling & Make-Up ist ebenfalls zu achten); der Zeitdruck des Vielbeschäftigten ist nachgerade Voraussetzung.

Dachte ich.

Nun schaue ich verblüfft auf eine Sammlung von Fotos der wahren Protagonisten aus schwierigen Zeiten und konstatiere: jeder kann sie besuchen, und gar so dösig scheint mir die zurückhaltende Ruhe im Blick der Dickhäuter gar nicht zu sein

eher: vorsichtig, neugierig, wachsam, sorgfältig, darf man sagen - visionär?



Keiner soll sagen, dass von Reiswitz ihre Persönlichkeiten geknackt habe, wie ein Einbrecher einen Safe Code. Vielmehr ist er ihnen nahe gekommen, und das auf Augenhöhe. Gottlob ist das keine witzige, sondern eine interessante und respektvolle Arbeit, trotz aller Nähe sehr diskret.


Und ein wenig gemahnt sie an den alten Witz, in dem zwei aufgeregte Forscher vor dem Affenkäfig sitzen und auf Formularblöcke kritzeln, während der eine Affe zum anderen sagt: "Ein wirklich interessantes Experiment. Jedesmal, wenn ich eine Banane aufmache, macht der Mensch sich eine Notiz",


Berlin, 03-08-03

Jim Rakete

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