Glamour [engl. "Blendwerk", "Zauber"],
bezaubernde Schönheit, durch Anwendung kosmetischer Mittel oder
technischer Tricks erzielte betörende Aufmachung. Das Wort geht
zurück auf eine schottische Variante des mittelenglischen "gramary(e)"
mit der Bedeutung "Zauberei, schwarze Kunst". Die Magie des Glamour
zielt auf die Manipulation des Blickes. So kann der Körper eines
weiblichen »homo sapiens, der - physikalisch gesehen - nur eine
bloße Anhäufung von Materie ist, durch einen geschickt manipulierten
Blick in ein betörendes Subjekt verwandelt werden. Da menschliche
Wahrnehmung immer selektiv und phantasiegetrieben ist, nehmen grundsätzlich
alle Menschen an dem unter Glamour gemeinten Verzauberungsprozess
teil. Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind [» Illusion der
"reinen Anschauung"], sondern immer nur so, wie wir sie sehen wollen.
Einem an und für sich ausdruckslosen Stoff, z.B.einem Gesicht,
kann mittels künstlich gesetzter Glanzpunkte (rote Wangen, feuchte
Augen oder Lippen, Diamanten etc.) eine bezaubernde Ausstrahlung verliehen
werden. Innerhalb der menschlichen Spezies sind es vor allem die Frauen,
die die glamourösen Verzauberungstechniken kontinuierlich weiterentwickelt
haben und sich dabei einer wachsenden Industrie von Helfern bedienen
(Mode, Kosmetik, Fotografie, Film etc.). Als » schwarze
Kunst ist die Magie des Glamour wesensmäßig
darauf ausgerichtet, andere Personen oder Personengruppen zu schädigen.
Mithilfe eines ausgeklügelten Blendwerks zieht sie aus der Betörung
des Betrachters persönlichen Vorteil (Versorgung, Kinder, Anerkennung,
Geld etc.). Auf der anderen Seite wäre der globale Siegeszug des
Glamour nicht denkbar ohne die noch kaum erforschte, aber offenbar
genuin menschliche Disposition, sich blenden und täuschen zu lassen.
Tiere dagegen erweisen sich als weitgehend glamourresistent.
Das belegen die Versuchsreihen eines deutschen Fotografen in einem Berliner
Zoo. Die unter Studiobedingungen proträtierten Tiere (Elefant,
Nashorn, Flusspferd, Pinguin, Tapir, Gorilla, Maribu u.a.) zeigen gegenüber
menschlichen Modellen signifikante Verhaltensunterschiede. 1. Sie suchen
nicht die Kamera, 2. Sie widersetzen sich jeder künstlichen "Aufmachung"
[»Make Up] 3. Sie unterlassen gegenüber dem Fotografen
jede Art von Balz- oder Brunstverhalten" [» Imponiergehabe].
Auf der anderen Seite verzichtet der Fotograf — abgesehen von
der Lichtsetzung — auf jede Inszenierung oder Manipulation seiner
Modelle. Das Ergebnis ist eine doppelte Entzauberung:
sowohl des traditionellen Modelshootings als auch der Tierfotografie.
Bei v. Reiswitz ist der Gorilla kein "behaarter Verwandter", der Elefant
kein großohriger "Dumbo", der Tapir nicht "possierlich", das Flußpferd
kein maulaufreissender "Hippo". In einer Art Gegenzauber zum herkömmlichen
Glamour werden die bekannten Abziehbilder enttarnt und ihnen
ungewöhnliche Ansichten entgegengestellt. So "porträtiert"
v. Reiswitz den Elefanten nicht als Rüsseltier, sondern "zieht"
etwas anderes "hervor" (lat. Protrahere): das kleine Auge in einem Faltengebirge.
Wenn der Anblick dieser "Porträts", die vom Effekt-Glamour
der Hochglanzmagazine befreit sind, den menschlichen Betrachter dennoch
in den Bann zieht, lässt das nur einen (paradoxen) Schluß
zu. Der Zauber der Zoogestalten liegt gerade darin, dass sie den Betrachter
nicht verzaubern wollen. Zwar arbeitet auch v. Reiswitz mit den Mitteln
des Glamour, aber anders als in der klassischen Porträtfotografie
inszeniert er nicht die Eitelkeit des Menschen, seinen Ewigkeitsdrang,
enthüllt vielmehr deren Verweigerung, die natürliche Flüchtigkeit
der Tiere. Eine menschliche Diva, die ihre Hornfadenbüschel [»
Haare] so lange bearbeiten läßt, bis sie dem Betrachter
als verführerische Lockenpracht erscheinen, gehorcht den Praktiken
archaischer Magie, "insofern sie ihren Willen auf die Welt in einer
Weise übertragen will, die der naturwissenschaftlichen Welt irrational
erscheint."[Meyer Encyclopädie]. » Jean Deuze hat
dafür den Begriff » magie blonde eingeführt.
In Abgrenzung davon wurde die Ablichtung der von dicken Schweißperlen
überzogenen Haut eines Flusspferdes, das vor der Kamera davonläuft,
von der » New Guggenheim School als investigative glamour
bezeichnet, und mit Kupferstichen holländischer Meister verglichen.
Die von Reiswitz erprobte Nahaufnahmetechnik führt den Glamour
aus seiner dämonischen Sackgasse. Die Fotografie wird wieder zur
Schwarzweisskunst, insofern sie die schwarze
Magie um die weisse Magie erweitert, die weniger blendet und täuscht
als entlarvt und sichtbar macht. Der Fotograf holt die Zoomodelle nicht
mit dem (Tele)Objektiv heran, er nähert sich ihnen leibhaftig.
Und nicht um den Tieren ihr Geheimnis zu entreissen, sondern um es ihnen
zurückzugeben. Die Magie dieser Porträts erwächst aus
ihrer Unnahbarkeit. Je näher der Fotograf herantritt (bis zu 20
cm), desto fremder blickt das Tier zurück. Bulette, eines der berühmtesten
und am meisten fotografierten Flusspferde der Welt, teilt mit menschlichen
Diven das von » Marlene Dietrich formulierte Schicksal:
"I've been photographed to death." Von Reiswitz hat mit der Re-Animation
begonnnen. Die Zukunft des Glamour wird davon abhängen,
ob es ihren Protagonisten in den entscheidenden Momenten gelingt, den
ganzen Zauber einfach zu vergessen. [quelle: encyclopädie trillenium, hcl] |